Anwendung des „Heimatrechts“, insbesondere des islamischen Rechts im Scheidungsverfahren vor deutschen Gerichten

Dieser Artikel soll der Frage, nach der Anwendung welche Rechtsordnung für Scheidungsverfahren von Paaren unterschiedlicher Nationalitäten gilt, auf den Grund gehen. Daneben geht es um den Einfluss des islamischen Rechts auf die deutsche Rechtsprechung, der in Politik und Medien kritisiert wird.

Auch für Anwälte ist ein Scheidungsverfahren eines Paares unterschiedlicher Nationalität vor einem deutschen Gericht nicht immer ganz einfach. Welche Rechtsordnung ist anzuwenden? Man könnte annehmen, solange das Paar in Deutschland lebt und das Verfahren vor einem deutschen Gericht anhängig ist, müsste doch deutsches Recht anwendbar sein. Dem ist jedoch nicht so, im Bereich des Privatrechts, wozu auch das Scheidungsverfahren gehört, hat der Richter bei auslandsberührenden Sachverhalten das Internationale Privatrecht (IPR) zu beachten. Die wichtigsten Vorschriften des IPR befinden sich im Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch, dem EGBGB. Noch bestimmt das deutsche IPR, welche, unter mehreren möglicherweise kollidierenden Rechtsordnungen in Betracht kommt, um über eine bestimmte Rechtsfrage zu entscheiden. Das IPR ist erforderlich, denn auf Grund der Vielzahl unterschiedlicher Rechtsordnungen weltweit könnte selbst eine umfangreiche einheitliche Regelung nicht vollständig alle möglichen Konstellationen erfassen. Auf europäischer Ebene wird daher versucht, im Rahmen der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen in der Europäischen Union, das für Ehescheidungen maßgebliche IPR der Mitgliedstaaten zu vereinheitlichen. Die Europäische Kommission hat hierzu einen Gesetzgebungsvorschlag vorgelegt, der gegenwärtig von vierzehn Mitgliedstaaten gewünscht wurde. Die schwierigen Verhandlungen dauern noch an.

Derzeit bestimmen Art. 14 Abs.1 i.V.m. Art. 17 Abs.1 EGBGB welches Recht im Scheidungsverfahren von Paaren unterschiedlicher Nationalität anzuwenden ist. Innerhalb des Paragraphen werden bestimmte Stufen vorgenommen, zum einen nach der gemeinsamen Staatsangehörigkeit (Art. 14 Abs.1, Nr.1), nach dem gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt (Art. 14 Abs. 1, Nr.2) oder aber nach der gemeinsamen engsten Verbundenheit (Art. 14 Abs. 1 Nr.3).
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat die Anknüpfung an das Heimatrecht für verfassungskonform angesehen. Die Prüfung, ob die Scheidungsvoraussetzungen nach religiösem Recht gegeben sind, sei Rechtsanwendung der deutschen Gerichte.

Die Ausgestaltung des Scheidungsrechts islamisch geprägter Rechtsordnungen ist abhängig von den politischen und religiösen Machtverhältnissen und von den Einflüssen verschiedener islamrechtlicher Schulen. In Marokko ist 2004 eine Neukodifikation des Familienrechts in Kraft getreten. Hieran wirkten westlich geprägte Rechtswissenschaftler sowie Gelehrte unterschiedlicher Strömungen des islamischen Rechts, aber auch Frauenrechtlerinnen mit. Die Bestimmungen versuchen, zum einen den modernen gesellschaftlichen Erfordernissen und Vorstellungen zu entsprechen, zum anderen die islamischen Grundsätze beizubehalten.
Der Versuch erweist sich als schwierig, ist doch der Talaq aus dem islamischen Recht für den Ehemann nach wie vor bindend. Der Talaq gewährt dem Ehemann ein einseitiges umfassendes Gestaltungsrecht zur Beendigung der Ehe und ermöglicht ihm Scheidungsfreiheit. Im marokkanisch -islamischen Recht wird jedoch durch die Anordnung eines Versöhnungsverfahrens und einer Ausgleichszahlung die Ausübung des Talaq erschwert. Darüber hinaus ermöglicht es der Ehefrau sich ehevertraglich selbst das Verstoßungsrecht einräumen zu lassen und ihre Scheidungsgründe zu erweitern.

Natürlich gilt die Anwendung ausländischen Rechts nicht uneingeschränkt, das BVerfG hat im Spanier Beschluss (BVerfGE 31,58) Grundsätze zur Geltung der Grundrechte bei der Maßgeblichkeit ausländischen Rechts herausgearbeitet. Auch wirken die Grundrechte bei Privatrechtsverhältnissen, die nach dem IPR ausländischem Sachrecht unterliegen, über die Vorbehaltsklausel des Art. 6 S.2 EGBGB, dem „ordre publik“. Diese Klausel bestimmt, dass eine Rechtsnorm eines anderen Staates nicht anzuwenden ist, wenn ihre Anwendung zu einem Ergebnis führt, dass mit den wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offenbar unvereinbar ist. Dies  sei immer dann der Fall, wenn die Anwendung mit den Grundrechten unvereinbar ist.

Wie wird aber ein Talaq in Deutschland vollzogen, kann ein deutsches Gericht auf dessen Grundlage die Scheidung aussprechen? Es ist zunächst zu prüfen, ob die Scheidung auf Grund einer
Verstoßungserklärung nach den Normen des ausländischen Rechts gegen den ordre publik verstößt. Dies ist nicht der Fall, wenn beide Ehegatten die Scheidung wollen und dies auch im Scheidungsverfahren erklären.
Ist die Frau nicht einverstanden, wären jedoch nach deutschem Recht die Voraussetzungen für eine Scheidung erfüllt, so ist der ordre publik nicht heranzuziehen. Anders gelegen ist der Fall, wenn die Verstoßung ohne Einwilligung der Frau in die Scheidung erfolgt und die Voraussetzungen für eine Scheidung nach deutschem Recht nicht vorliegen. Eine einseitige Verstoßung, die willkürlich vom Ehemann ausgeübt würde, würde gegen die Menschenwürde verstoßen und den Grundsatz der Gleichberechtigung von Mann und Frau. In einem solchen Fall wäre das Scheidungsbegehren unter  Anwendung deutschen materiellen Rechts zurückzuweisen. Damit wird die Einseitigkeit und Beliebigkeit des Talaq dadurch abgemildert, dass der Ehefrau im Verfahren rechtliches Gehör gewährt wird und die Scheidung nur erfolgt, wenn sie zustimmt bzw. die Voraussetzungen auch nach deutschem Recht vorliegen. Dennoch wird ein Unbehagen kritisiert, wonach ein Talaq in ein Verfahren nach der ZPO nicht hineinpasse.
Einige islamische Rechtsordnungen binden den Talaq in ein Versöhnungs- und Genehmigungsverfahren in einem „Vorstadium“ des Verfahrens (so in Marokko, Afghanistan und dem Iran), um die Ursachen der Ehekrise aufzudecken und die Ehepartner möglichst zu versöhnen, zur Verhinderung einer Scheidung. Bei uns sprechen sich Literatur und Rechtsprechung für die fakultative Berücksichtigung solcher ausländischer Vorschriften im inländischen Verfahren aus.

Als Gegenpart soll der Fall dargestellt werden, wenn die Ehefrau die Scheidung begehrt, der Ehemann aber nicht einverstanden ist und den Talaq nicht ausübt. Auch hier ist zunächst zu prüfen, ob ein Scheidungsgrund nach dem berufenen ausländischen Recht vorliegt. Ist dies der Fall, erfolgt die Scheidung vorbehaltlich des ordre publik nach ausländischem, nicht nach inländischem Recht. Es ist dann unerheblich, ob nach deutschem Recht die Voraussetzungen vorliegen.
Doch was geschieht, wenn im konkreten Fall der Ehefrau nach ausländischem Recht kein Scheidungsrecht zusteht und dem Ehemann Scheidungsfreiheit gewährt wird. Die Ablehnung der Scheidung unter Anwendung des ausländischen Rechts würde sowohl den Gleichberechtigungsgrundsatz als auch den Grundsatz der Eheschließungsfreiheit verletzen. Eine analoge Anwendung der Bestimmungen über den Talaq, zugunsten der Frau, würde wiederum den Grundgedanken des islamischen Rechts völlig zuwiderlaufen. Demnach bleibt nur das Scheidungsbegehren nach deutschem Recht zu beurteilen.

Das Hauptproblem bei Ehescheidungen mit Berührungen zu islamischen Rechtsordnungen besteht  nicht in der erforderlichen Balance zwischen der Anwendung ausländischen Rechts und der Geltung der Grundrechte. Vielmehr ist das Ehekollisionsrecht reformbedürftig. Die Funktion des IPR auf dem Gebiet der Ehescheidung haben sich seit dem Inkrafttreten des EGBGB n.F. im Jahr 1986 verschoben. Damals ging man davon aus, dass Deutschland kein Einwanderungsland sei, dass die zur Arbeit herbeigeholten Ausländer nicht auf Dauer in Deutschland bleiben würden. Dies macht die Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit deutlich, die eine Verbundenheit des Einzelnen mit seinem Heimatstaat indiziert. Es hat jedoch im Bereich des Familienrechts auch die Aufgabe, die Integration der hier lebenden Ausländer in die deutsche Gesellschaft zu fördern, mit der sie objektiv eng verbunden sind. Dies sieht z.B. das Schweizer IPR vor, das aus derselben Zeit wie das unsere stammt, hier wird im Scheidungsrecht grundsätzlich das eigene Recht berufen. Das ausländische Recht findet jedoch Anwendung, wenn beide Ehegatten eine gemeinsame Staatsangehörigkeit besitzen und lediglich einer seinen Wohnsitz in der Schweiz hat.
Daher ist für eine gemeinschaftliche europäische Regelung wünschenswert, dass die unterschiedlichen Rechtsanwendungsinteressen ausgewogen zum Ausdruck kommen, die Integration gefördert wird und der kulturellen Identität der Menschen, die ihre Mobilitätsfreiheit wahrnehmen, Rechnung getragen wird.